Pflanzenschädlinge und ihre Auswirkungen, Teil 3: der Cynips de Chataignier und seine Folgen

  • "solange wir Kastanien haben, werden wir auch Brot zu essen haben".... dieser Satz wird Pasquale Paoli zugeschrieben. Seit Jahrhunderten ist die Kastanie ein wesentlicher Bestandteil der korsischen Geschichte, hat Generationen vor dem Hungertod bewahrt (ein Baum konnte eine Familie einen Monat lang ernähren). Oft auch "arbre a pain", Brotbaum, genannt gab die Esskastanie einer ganzen Region ihren Namen : la Castagniccia.


    Etwa 30000ha sind auf der Insel mit Esskastanien bewachsen, kultiviert ist heute aber nur noch etwa ein Zehntel dieser Fläche. Und dennoch hat die Kastanie immer noch eine große wirtschaftliche Bedeutung auf Korsika :
    Zum einen sind es ganz direkt die etwa 250 "Kastanienbauern" . Aus 1200t frischer Kastanien produzieren sie ca. 300t Mehl ( seit 2006 mit dem Label AOP), auf der Insel verstreut sind noch 34 Kastanienmühlen in Betrieb.
    Es sind die etwa 160 Schweinezüchter, deren Tiere sich einen Teil des Jahres überwiegend von Kastanien ernähren
    Es sind nicht zuletzt die Imker, bei denen über 30% ihrer Gesamtproduktion von ca.330t Honig im Jahr auf den" miel de chataigne" entfallen. Die proteinreichen Pollen der Kastanienblüte spielen auch eine weitere wichtige Rolle in der komplizierten Biologie der Bienenstöcke. Sie sichern die Versorgung der Bienen mit Nährstoffen zu einer Zeit, in der nicht viel anderes blüht. Ohne die Kastanien legt die Königin keine neuen Eier, der Stock überaltert und geht geschwächt in die Überwinterungsphase. *


    Die heisst Dryocomus kuriphilus, cynips de chataignier oder Esskastanien-Gallwespe. Ursprünglich beheimatet in China hat sie sich über Japan, die USA, Italien, Südfrankreich auch nach Korsika ausgebreitet. Das erste Auftreten auf der Insel wurde 2010 beobachtet. Inzwischen ist der cynips fast überall auf der Insel beobachtet worden, die am stärksten betroffenen Gebiete sind die Castagnicchia und das Boziu.
    Die Weibchen ( es scheint nicht ganz klar zu sein, ob es überhaupt männliche Tiere gibt, parthenogenetische Fortpflanzung scheint die Regel zu sein) legen ihre bis zu 300 Eier in die Blattknospen, im Frühjahr formen sich an den jungen Trieben und Blütenansätzen Gallen, die eine oder mehrere Larven beherbergen. Je nach Stärke des Befalls wird der Baum geschwächt, die Produktion der Früchte sinkt um 60-80%, die befallenen Äste und im Extremfall der ganze Baum sterben ab. Zudem erleichtern die Austrittslöcher in den Gallen Pilzen und Bakterien einen Befall des Baumes.
    Hinzu kommt, daß die meisten Bestände an Kastanien überaltert und seit Jahrzehnten sich selbst überlassen sind. In der Folge sind viele Bäume jetzt schon vom chancre du chataignier (Kastanienrindenkrebs, verursacht durch einen Schlauchpilz) und der encre de chataignier (Tintenkrankheit, ebenfalls eine Pilzerkrankung) befallen und schwer geschädigt.


    Eine chemische Bekämpfung des cynips scheint momentan -glücklicherweise?- nicht möglich zu sein. Die einzige erfolgversprechende Methode scheint in der kontrollierten Ausbringung von Torymus sinensis, einer auf den cynips spezialisierten Schlupfwespe zu sein. Diese legt ihre Eier in die bewohnten Gallen ab, und die schlüpfenden Larven ernähren sich von den Larven des cynips. Problematisch ist dabei, daß die Schlupfwespe erst in ein schon bereits stark befallenes Gebiet ausgebracht werden kann um ihr eigenes Überleben zu sichern. Man rechnet damit, daß es zehn Jahre dauern wird, bis sich ein Gleichgewicht zwischen Schadinsekt und Parasit eingependelt haben wird. Bis dahin muß mit massiven Schäden und Ernteausfällen gerechnet werden. Die ersten Versuche mit Torymus sinensis wurden im letzten Jahr bereits gemacht ( Resultate bisher noch nicht), dieses Jahr werden weitere Gebiete dazukommen. Das ganze ist natürlich sowohl kosten- als auch arbeitsintensiv. Die Alternative hingegen wäre schwer vorstellbar: sollte die Kastanie verschwinden, würde das nicht nur die Existenz vieler landwirtschaftlichen Betriebe ruinieren sondern auch das das Antlitz Korsikas komplett verändern. Bereits im letzten Jahr sollen die Folgen in der Castagnicchia deutlich zu sehen gewesen sein: dort wo man normalerweise im Sommer unter schattenspendenden Kastanienbäumen spazieren konnte, sei das Laub so ausgedünnt gewesen, daß man fast nur den Himmel sehen konnte...


    Es bleibt zu hoffen, daß genügend finanzielle Mittel für die Freisetzung der Schlupfwespe bereitstehen, das Aussetzen auch wirklich fachkundig erfolgt und den gewünschten Erfolg zeigt. Alles andere möchte ich mir lieber gar nicht vorstellen.


    Gruss
    Thomas


    * diese Zahlen sind die offiziellen ! Ich vermute, daß es noch weitaus mehr Korsen gibt, deren Aktivität nirgends gemeldet ist und die dennoch ebenso abhängig von der Kastanie sind wie die "Professionellen". Alleine bei uns im Dorf gibt es sechs Bergers, deren Schweine wahrscheinlich nirgendwo registriert sind, weitere zwei, deren Kastanienmehl ( zusammen immerhin ca. 2t) ebenfalls nicht in der offiziellen Statistik auftauche dürfte. Nicht zu vergessen weiterhin all die Betriebe, die das Kastanienmehl weiterverarbeiten zu Keksen,Kuchen etc.


    hier noch ein paar informative links, leider nur auf französisch
    FREDON Corse
    Châtaigne Corse: la châtaigne et la Corse
    Salvemu i castagni - Sauvons les châtaigniers

  • Hallo Thomas, Giacchetto:


    vielen Dank für diesen ausführlich Vortrag.
    Uns würde aber noch interessieren, was es mit den kleinen dicken
    Maden auf sich hat, die aus den Maronen "flüchten" sobald man sie
    aufgesammelt und irgendwo hingelegt hat. Beim Sammeln war nichts
    zu erkennen von einem Insektenbefall. In den letzten Jahren
    haben wir dieses Phänomen aber verstärkt beobachtet und dann auf ein
    Weitersammeln verzichtet.


    LG Franziska

  • Moriani:


    Hallo Franziska,


    normalerweise sind es zwei verschiedene ungebetene Gäste, die in den Kastanienfrüchten logieren:
    zum einen die kleinere und agilere Larve des Kastanienwicklers (carpocapse de chataigniers, Cydia splendana, ein Kleinschmetterling aus der Familie der Wickler) und zum anderen die fette, eher nicht laufende sondern sich "rugelnde" Larve des Kastanienbohrers ( balanin de chataignes, Curculio elephas, ein Rüsselkäfer)


    Beide Arten sind wohl schon seit jeher hier heimisch und treten sowohl regional als auch von Jahr zu Jahr in wechselnder Häufigkeit auf. In 2013 hatten wir das Gefühl, daß bei uns hier der Befall eher sehr schwach war, in 2011 waren annähernd 70% der Früchte betroffen. Dafür ist uns aufgefallen, daß etliche Kastanienbäume in unserer unmittelbaren Nachbarschaft im letzten Jahr so gut wie keine Früchte getragen haben.Schon eine Folge des cynips ?


    "Uns würde aber noch interessieren, was es mit den kleinen dicken Maden auf sich hat, die aus den Maronen "flüchten" sobald man sie aufgesammelt und irgendwo hingelegt hat"
    Was hilfreich sein kann: früh sammeln, möglichst schnell schälen, dann ist der Wurm noch sehr klein, die Schäden an der Frucht mininmal. Je länger die Kastanien liegen, desto länger hat die Larve Zeit sich zu entwickeln. Irgendwann bohrt sie sich dann zur Verpuppung nach draußen, hinterläßt ein Loch in der Kastanie und eine zerstörte Frucht.



    Gruss
    Thomas

  • hallo Thomas, der Insektenexperte des Forums,


    vielen Dank für deine hochkkarätigen Infos! Mal sehen was noch so alles kreucht und hoffentlich fleucht auf der Insel.
    lg
    Helen

  • Hallo Helen,


    Mal sehen was noch so alles kreucht und hoffentlich fleucht auf der Insel.

    Vor Jahren konnte ich auf dem Cap erleben, wie vermutlich der Eichen-Prozessionsspinner massenweise (kreucht) die dortigen Eichen befallen hat. Die gefräßigen Raupen labten sich an den Blättern der Eichen (vor allem die der Steineichen), Kahlfraß war die Folge. Auf der Suche nach neuer Nahrung überquerten (fleucht) sie mancher Orts zu Abertausenden die Verkehrsstraßen, übrig blieb ein unansehlicher Matsch überfahrener Raupen.
    Die Eichen haben diesem Befall scheinbar recht gut weg gesteckt, denn im darauf folgendem Jahr war wieder alles im grünen Bereich.


    Gruß
    Dieter

  • Hallo zusammen,


    ist zwar ein bißchen abseits des ursprünglichen Themas, aber es stimmt schon, die Prozessionsspinner sind nicht ohne. Der Eichenprozessionsspinner spielt meinen Beobachtungen nach hier kaum eine Rolle. Das Auftreten des Pinienprozessionsspinners (nicht der bei uns heimische kiefernprozessionsspinner) erfolgt hingegen oft in Massen und führt zu ernstzunehmenden Schäden an den betroffenen Bäumen. Die Haare aller drei Arten können beim Menschen heftige allergische Reaktionen (Hautjucken, verbrennungsähnliche Symptome, Atembeschwerden) hervorrufen. Die Haare werden oft auch durch den Wind verbreitet, und man sollte auf alle Fälle vermeiden in direkten Kontakt mit den Raupen oder ihren "Nestern" zu geraten. Mit meinem hiesigen Arzt habe ich mich mal darüber unterhalten und er war der Meinung, daß die allergische Wirkung der Raupenhaare in den letzten Jahren deutlich stärker geworden sei. Die Frage bleibt natürlich ob die Allergene stärker geworden sind oder der Mensch einfach nur sensibler...Ich selber war früher in D gelegentlich in Kontakt mit Eichenprozessionsspinnerraupen und hatte nie Probleme damit, mit den hiesigen Pinienviechern habe ich aber durchaus üble Erfahrungen gesammelt.


    Gruss
    Thomas

  • :hi:
    Giacchetto:
    ist zwar ein bißchen abseits des ursprünglichen Themas c))l , aber als ich die Bilder von cinto: Helen sah, fiel mir wieder die Plage im Juni 2002 ein, wo alles, was eine Eichenart ist,kahl gefressen war und überall die geschlüpften Falter in Massen herumflogen. th()oo
    Das ganze Cap Corse mitsamt der Ostküste bis runter nach und Figari war betroffen.
    Erst im Golf von Valinco und weiter die Westküste Hochwärts war wieder an einen normalen Urlaub zu Denken. :bandera blanca:


    Bombyx I


    Bombyx II


    Bombyx III

  • @u liamone:


    Hallo Andy,


    Bombyx disparate (Lymantria dispar, Schwammspinner) ist ein auch in Mitteleuropa nur allzugut bekannter Forstschädling, der in manchen Jahren epidemieartig auftritt und ganze Waldgebiete in Mitleidenschaft zieht da es bei massenhaftem Auftreten zu Kahlfrass kommt. Er bevorzugt Eichen, macht aber auch vor allen anderen Laubbäumen nicht Halt, Apfel und Kirsche sind ebenso betroffen wie -im Tessin- Esskastanienbäume.
    Diese 2002 massiv beobachteten Schäden hier auf der Insel waren mir nicht bewusst (ich war allerdings auch 2002 noch nicht ganzjährig hier und im Sommer definitiv nicht). Seither wäre mir nicht bekannt, daß es zu grösserem Befall gekommen ist, einzelne(!) Raupen beobachte ich immer wieder mal.


    Gruss
    Thomas

    • Offizieller Beitrag

    Hallo zusammen,


    auch ich erinnere mich an heftigen "Raupenfall" im Asco-Tal in einem Urlaub anno ???
    Dank der nach oben offenen Sanitäranlagen unter Eichen mussten wir uns erst einmal Platz schaffen n///briid zum Duschen damals ... dito Richtung .
    Die Kommentare damals auf den CPs: "ist öfters mal so, die Eichen erholen sich wieder und treiben ein zweites Mal aus!"


    Aus Chêneorum
    Ernest

  • Ich finde es ja schön, daß mein Beitrag über den Cynips zu weiterführenden Diskussionen Anlaß gegeben hat.


    Was mich allerdings schon etwas wundert, daß die eigentliche Problematik des cynips und die mit ihm einhergehende nicht so richtig wahrgenommen wird. Gut, man ist an Katastrophenszenarien inzwischen gewöhnt und es wird alles nicht so heiß gegessen wie es gekocht wird....aber dennoch: wenn die Aussetzung der Torymus Schlupfwespe nicht im notwendigen Umfang erfolgt (sei es aus Geldmangel oder aus Mangel an freiwilligen Helfern) oder nicht den gewünschten Erfolg zeigt....dann müssen wir davon ausgehen, daß es in absehbarer Zeit gewaltige Veränderungen im Landschaftsbild Korsikas geben wird. Falls die Kastanien verschwinden sollten, hätte das dramatische Auswirkungen. Ohne übertreiben zu wollen, ist die Bekämpfung des cynips im Moment wohl die größste Herausforderung.


    Gruss
    Thomas

  • Bonjour à tous! :winke:

    Falls die Kastanien verschwinden sollten, hätte das dramatische Auswirkungen. Ohne übertreiben zu wollen, ist die Bekämpfung des cynips im Moment wohl die größste Herausforderung.

    Ich möchte deshalb nochmal hinweisen auf den von Thomas eingestellten Link (sauvons les châtaigniers) - eine Organisation von Erzeugern des Kastanienmehls, die durch Kauf und Aussetzen des Parasiten (Schlupfwespe) für den Erhalt der Kastanienbäume kämpft. :appl:
    Diese Organisation kann man (bequem per PayPal oder Kreditkarte) finanziell unterstützen!
    Selbst kleine Beträge sind sicher hilfreich!


    Salvemu i castagni - Sauvons les châtaigniers


    Man sollte bedenken, dass nicht nur süße Leckereien aus dem Kastanienmehl hergestellt werden, sondern auch das geschätzte Pietra! :beer:


    Bon dimanche!
    Capitella ::)))

  • "Diese Organisation kann man (bequem per PayPal oder Kreditkarte) finanziell unterstützen"


    Ich wollte halt keinen plumpen Spendenaufruf starten....
    zum Thema: im Februar finden hier in der Region mehrere Seminare statt, in denen betroffene agriculteurs und Freiwillige darin geschult werden, befallene Bäume zu erkennen, Schäden durch den cynips zu beurteilen und eben auch darin die Schlupfwespe auszubringen. Meine Anmeldung ist schon unterwegs...


    Gruss
    Thomas

    • Offizieller Beitrag

    Ich finde es ja schön, daß mein Beitrag über den Cynips zu weiterführenden Diskussionen Anlaß gegeben hat.
    Was mich allerdings schon etwas wundert, daß die eigentliche Problematik
    des cynips und die mit ihm einhergehende nicht so richtig
    wahrgenommen wird.


    Danke für den Nachklapp! Meine Überweisung ist unterwegs ...


    Aus Chêneorum


    Ernest

  • Danke für eure Spendenbereitschaft....das Geld wird tatsächlich gut gebraucht.
    Ich werde euch mit Sicherheit auf dem laufenden halten, wie es hier weitergeht mit der Freisetzung des Torymus und dem Befall mit dem cynips.


    Gruss
    Thomas

  • Ja, habe mich auch angeschlossen und denke,
    es werden noch einige Forianer sich dazu entschließen,
    etwas für "unsere" Insel zu spenden. d%$c)4


    Hoffen wir, daß es gelingt, das Problem in den Griff zu kriegen.


    LG Franziska

Zur Forenübersicht

Bitte diesem Link zur Forenübersicht folgen. Hier können auch neue Themen gestartet werden.