Pflanzenschädlinge und ihre Auswirkungen, Teil 3: der Cynips de Chataignier und seine Folgen

  • Hallo zusammen,


    heute erschien im ein Artikel über das erste Seminar zur Ausbringung des torymus in der Casinca.
    link:Exploitants et bénévoles parés pour combattre le cynips | Corse |


    Kurz zusammengefasst: "die Kastanienwälder bieten Lebensraum für eine sehr typische Artenvielfalt, sind eine natürliche Barriere gegen die Feuergefahr, sie sind die Wurzeln unserer Geschichte und Traditionen, sie sind der Schlüssel zur wirtschaftlichen entwicklung der Bergregionen. Wir haben inzwischen verstanden, daß die durch den cynips eine Katastrophe ist" -soweit Carine Franchi, die diese Veranstaltung leitete. Die Freisetzungen des torymus werden Ende April/Anfang Mai beginnen.
    Nachdem der cynips 2010 zum erstenmal auf Korsika bemerkt wurde, bleibt heute festzustellen, daß in allen Gebieten, die im Jahr 2010 befallen wurden, heute der Ertragsausfall 100% beträgt. Der Grund hierfür ist, daß die Vermehrungsrate des cynips extrem hoch ist.
    Weiterhin stellt Mme Franchi klar," daß es kein zurück mehr geben wird. Der cynips ist da und wird für immer bleiben. Man kann nur versuchen durch massive Freisetzung des torymus die Situation in den Griff zu bekommen und darauf hoffen, daß sich zwischen den beiden Spezies ein Gleichgewicht einstellen wird. Und dennoch ist es nicht leicht, einem Kastanienbauer zu erklären, daß sein Ertrag nie wieder so hoch sein wird, wie er einmal war. Momentan sei die Situation kritisch, alle Einschätzungen die man zu Beginn gemacht hat, seien nichtig. Der cynips hätte sich erheblich schneller ausgebreitet, als man befürchtet habe. In Italien hätte man nach zehn Jahren wieder eine nennenswerte Produktion aufnehmen können. Allerdings musste dort erst Grundlagenforschung betrieben werden und die Reproduktion des torymus in Gang gebracht werden. In Korsika könne man jetzt von diesen Erfahrungen profitieren und man hoffe diesen Zeitraum zu verkürzen."


    Wie bereits erwähnt findet dieses Seminar bei uns im Dorf ebenfalls noch im Februar statt. Ich werde euch weiter darüber berichten.


    Gruss
    Thomas

  • Nachdem ich aus familären Gründen längere Zeit abwesend war ( sowohl im Forum als auch auf der Insel) melde ich mich mit dem versprochenen update hinsichtlich des Cynips zurück.
    Leider konnte ich bei dem schon erwähnten Seminar nicht persönlich anwesend sein, aber Christine hat mich würdig vertreten.


    Das Seminar wurde veranstaltet von der chambre d'agriculture (Landwirtschaftskammer) in enger Zusammenarbeit mit dem syndicat AOC farine de chataigne corse (hier sind die Produzenten von dem AOC Siegel entsprechendem Kastanienmehl zusammengeschlossen). Von offizieller Seite anwesend waren ausserdem Vertreter des PNRC (des Regionalparks), des syndicat AOC Miel de corse (des Zusammenschlusses der Imker mit AOC Siegel) und des ONF (der Forstbehörde). Die knapp zwanzig Teilnehmer waren Kastanienbauern, Schweinezüchter und Imker -und Christine als einzige "Freiwillige". Die Teilnehmer des Seminars bei uns im Dorf sind verantwortlich für das Gebiet zwischen Ghisoni, Poggio di Nazza, Isolaccio bis nach Ventiseri und das Seminar ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen auf der ganzen Insel.
    Eine gute Nachricht gab es gleich zu Beginn der Veranstaltung. Durch das großzügige Spendenaufkommen (es wurde sogar bemerkt, daß auch aus Deutschland [definition=31]Spenden[/definition] eingegangen wären !) ist das Ausbringen des Torymus für dieses und die beiden kommenden Jahre gesichert. Ursprünglich ging man davon aus, alle 5km eine größere Anzahl der Schlupfwespe auszubringen. Dank der guten Finanzlage sieht man sich in der Lage in diesem Jahr sogar alle 2,5km den Torymus freizusetzen (in Höhenlagen, in denen Kastanien wachsen).
    Danach wurde auf den Entwicklungscyclus des Cynips eingegangen. Es wurde nochmals betont, daß der Einsatz von Pheromonfallen unmöglich sei, da der Cynips sich parthenogenetisch (durch Jungfernzeugung) fortpflanzt. Auch ein Einsatz von Insektiziden verbiete sich allein schon wegen der riesigen zu behandelnden Fläche, des unkalkulierbaren Risikos für Nutzinsekten und die Umwelt ganz allgemein. Ausserdem würden die Gallen die Cynipslarven wie ein Panzer umgeben und vor Insektiziden schützen. Als einzige Möglichkeit bliebe die biologische Bekämpfung.
    Um den richtigen Zeitpunkt für die Freisetzung des Torymus zu bestimmen, muss der Zustand der Knospen an ausgewählten Kastanienbäumen über einen längeren Zeitraum -beginnend Ende März- beobachtet werden. Dieser Zeitpunkt ist gekommen, wenn etwa die Hälfte der (Blatt-)Knospen ihre äussere Hülle abgeworfen haben und die jungen Blättchen sich beginnen zu entfalten. Jetzt muss schnell reagiert werden -es heisst auf nach , sich einen "Vorrat" an Torymus besorgen und die Tierchen freisetzen. Momentan werden die Torymus noch in Italien bezogen, es gibt aber Bestrebungen auch in Korsika ein Aufzuchtprogramm zu starten. Federführend wird dann wohl die INRA (Institut National de la Recherche Agriculture, nationales landwirtschaftliches Forschungsinstitut) sein, die ja bei Cervioni ansässig ist.
    Die Einführung des Torymus sinensis erfordert auch ein Umdenken in der korsischen Tradition des "Zündelns mit Baumschnitt u.ä." : da die Larven des Torymus in den Gallen ( genauer gesagt in den Cynipslarven in den Gallen) überwintert, darf man keinesfalls im Frühjahr das alte Kastanienlaub und eventuelle Schnittabfälle verbrennen. Damit würde man dann nämlich auch die so mühsam ausgesetzten Torymuslarven einer Feuerbestattung zuführen und viel Arbeit und viel Geld wäre umsonst gewesen. Man sollte vielmehr dieses Laub mindestens ein Jahr lang lagern bevor man es verbrennt.


    Wir haben heute "unsere" Bäume ausgewählt, die wir in der näheren Zukunft beobachten wollen. Das inzwischen wieder frühlingshafte Wetter könnte nämlich durchaus für eine vorgezogenes "Frühlingserwachen" der Kastanienknospen sorgen.


    Ich werde euch weiter auf dem laufenden halten.


    Gruss
    Thomas

  • Danke für die vielen Blumen.... :amiguitos:
    aber ehrlich gesagt klingt unser Engagement in meinen Beiträgen vielleicht spektakulärer als es in Wirklichkeit ist. Das was wir letztendlich an Arbeitskraft einbringen ist nur ein Bruchteil dessen, was auf der ganzen Insel benötigt (und geleistet !!) wird. Da wir uns unmittelbar von der Problematik betroffen fühlen (wer von euch schon bei uns war, weiß ja, daß ein großer Teil der Bäume um uns herum Kastanien sind) ist es uns ganz einfach ein Bedürfnis einen Beitrag zu leisten.


    @u liamone: ich gehe einfach mal davon aus, daß du auf jeden Fall in 2014 wieder auf der Insel sein wirst...also dürfte einem Treffen ja wohl nichts im Weg stehen.
    Teemitrum: ich sage da jetzt mal nicht nein, aber wenn tatsächlich Interesse bestehen sollte müsste ich mir erst mal Gedanken machen, wie man das am "pädagogisch sinnvollsten" organisieren könnte. Es macht in meinen Augen wenig Sinn nur zu irgendwelchen Bäumen zu pilgern und seine Betroffenheit zu äußern, ganz evtl. (müsste ich aber nachfragen) könnte ich etwas mit jemandem vom ONF/PNRC oder vom AOC chataigne dazu organisieren....,wie gesagt eventuell(!!!!)


    eine kleine Anekdote zur "Betroffenheit" aus längst vergangenen Tagen : ich war damals an der Uni mit einem Projekt zur Waldsterbensforschung beschäftigt (ein großes Thema in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts). In diesem Zusammenhang "durfte" ich mit einigen wichtigen Menschen aus dem Landesumweltministerium eine sogenannte "Waldschadensbegehung" machen. Es war im Spätwinter und irgenwann stand die ganze Gruppe mit betroffenen Gesichtern vor einer Ansammlung von kahlen Nadelbäumen und übertraf sich in besorgten Kommentaren über den Zustand des armen Waldes. Ich konnte mir damals nicht verkneifen, die Leute darauf hinzuweisen, daß die Lärchen, deren Schicksal sie gerade so bedauerten, die einzigen nadelabwerfenden heimischen Nadelhölzer wären......


    Gruss
    Thomas


    PS. Ribellu: ein großes Dankeschön, der "bearbeiten" Button ist seit heute wieder da !

  • Eeit drei Wochen beobachten wir nun schon die Entwicklung der Kastanienknospen. Inzwischen haben sich einige Knospen bereits soweit entwickelt, daß sich die jungen Blätter zu entfalten beginnen. Inmitten der zarten Blättchen befindet sich ganz oft bereits eine gut entwickelte Galle die die überwinterten Larven des Cynips beherbergt. Auf dem angefügten Bild erkennt man sehr gut sowohl die über den Winter am Baum verbliebenen alten Blätter (die die überwinternde Galle zusätzlich geschützt haben) als auch die bereits neu entwickelte Galle an den neuen Blatt-Trieben.
    Wenn wir die Bäume genauer betrachten müssen wir leider feststellen, daß sich fast überall diese Cynips-Gallen befinden. Wo die Befallsquote in 2013 noch bei 10% lag wird sie dieses Jahr den Prognosen zufolge bei 90% liegen.
    Je nach Wetterentwicklung werden wir dieTorymus wohl in ca. zwei Wochen freisetzen können und es bleibt zu hoffen, daß diese dann wie gewünscht ihre Arbeit verrichten.


    Gruss
    Thomas

  • Hier nun wie bereits von mir angekündigt, eine Zusammenfassung des gestrigen Tages:


    Frühmorgens traf die gesamte für das Departement Haute-Corse bestimmte Menge an Torymus mit dem Schiff aus Italien kommend in Korsika ein. Christian, der für die Organisation im Fiumorbo verantwortlich zeichnet, war nach gefahren um dort die für hier bestimmten Tierchen in Empfang zu nehmen.
    Gegen 10Uhr trafen sich die freiwilligen Helfer in [definition=16]Ghisonaccia[/definition] um die für ihre jeweiligen Aussetzpunkte bestimmte Menge an Torymus in Empfang zu nehmen (Bild1) Geliefert wurden die Torymus in gekühlten (gekühlt, damit sie nicht zu lebhaft sind) Proberöhrchen (Bild2). In jedem dieser Röhrchen befinden sich ca. 15 Torymus-Weibchen und ca. 10 Männchen (Bild3), pro Freisetzungspunkt (wird hier als "lacher" bezeichnet) wird der Inhalt von 10 Röhrchen freigesetzt. Freigesetzt heisst nun nicht etwa, daß das Röhrchen einfach nur geöffnet wird und die Torymus herausgeschüttelt werden, man soll sie vielmehr behutsam auf eine existierende Cynipsgalle "fallen"lassen... (anzusehen z.B hier Organisation d'un lâcher de Torymus Sinensis - Avril 2014 - YouTube oder hier Premier lâcher de Torymus Sinensis - Pietra Corbara - 24 avril 2014 - YouTube )
    Insgesamt wurden für Haute-Corse 400 dieser sogenannten "lachers" bestimmt, macht also bei 10 Röhrchen á ca. 25 Tierchen pro "lacher" so um die hunderttausend dieser Mikrowespen (die Tierchen sind gerade mal so 2-3mm lang) die gestern geliefert wurden.
    Die hier versammelte Equipe war für die Freisetzung des Torymus vom Col de Sorba über Ghisoni, Poggio di Nazza, Aghjola, Isolaccio di Fiumorbo, San Gavinu, Serra di Fiumorbo bis nach Ventiseri verantwortlich. Christines und mein Bereich erstreckte sich von Aghjola bis nach Isolaccio. Wir wurden mit 30 dieser Röhrchen ausgestattet und auf unsere Reise geschickt....


    In den nicht einmal zehn Tagen, die seit unserer letzten Beobachtung der Kastanienknospen vergangen war, hatte sich viel getan. Zum einen war Blattentwicklung weit fortgeschritten, zum anderen mussten wir mit Schrecken feststellen, daß die schlimmsten Prognosen noch übertroffen wurden. Zeitgleich mit den Blättern hatten sich auch die Gallen mit den Cynips-Larven entwickelt und es bleibt festzustellen, daß etwa 70-80% der Blätter mit Gallen befallen sind. Bild 4 zeigt die Triebspitze eines Astes die mit Gallen geradezu übersät ist. Man bedenke, daß jede Galle bis zu 20 der Cynips-Larven beherbergen kann und der komplette Baum in dieser Dichte befallen war. Und dieser Baum war beileibe kein Einzelfall. Es steht zu befürchten, daß der Ernteausfall in diesem Jahr nahezu 100% betragen wird.
    Bild 4 zeigt unsere Hände beim Freisetzen der Torymus, Bild 5 und 6 jeweils -im roten Kreis- einen Torymus. (für echte Makroaufnahmen fehlte uns die Zeit und die Geduld). Insgesamt waren wir gute sieben Stunden damit beschäftigt unser 750 Tierchen freizusetzen. Fast unvorstellbar, daß es diesen wenigen (100.000 klingt zwar viel, für die Hälfte Korsikas dann aber auch wieder wenig) Tierchen gelingen soll, das Problem des Cynips in den Griff zu bekommen und diesen einzudämmen.
    Ein erstes Zwischenergebnis werden wir dann wohl erst im Januar erfahren, wenn man Proben entnimmt um festzustellen ob und in welchem Umfang sich der Torymus installiert hat. Für 2015 und 2016 ist jedenfalls geplant in gleichem Umfang nochmals Torymus freizusetzen. In 6-7 Jahren kann dann damit gerechnet werden, daß sich ein Gleichgewicht zwischen dem Cynips und seinem einzigen Gegenspieler eingependelt haben wird.
    Obwohl wir gestern abend wirklich erledigt waren, bleibt doch ein gutes Gefühl einen wenn auch kleinen Beitrag zum Erhalt der Kastanienwälder geleistet zu haben.


    Gruss
    Thomas


    PS. gestern nachmittag in corse-net: Sauvetage de la châtaigneraie Corse : 400 torymus de plus pour lutter contre le cynips

  • Hallo Thomas,


    Danke für deinen ausführlichen Bericht. Ich wünsche euch, dass eure Arbeit zum Erfolg führt, wäre wirklich schade um die Kastanien. Was wäre die Castagniccia ohne diese Bäume - unvorstellbar!
    Auch France 3 hat über das Ausbringen der Torymus berichtet. In Südtirol wurden die Antagonisten der Edelkastanien-Gallwespe bereits Ende April ausgesetzt.


    Gruß
    Dieter

  • erstmal DANKE an giacchetto für die vielen berichte und alles. und an die spender/inne/n auch.
    ich hab hier was, das zwar nicht direkt den kranken kastanienbäumen hilft, aber dazu beitägt, dass mehr menschen sich dieser wundervollen bäume bewusst werden und sich darüber informieren, sich einbringen ...
    in frankreich wird ein baum des jahres gewählt, arbre de l'année, die wahl 2014 läuft, und zwar hier :
    L'Arbre de l'année
    die seite ist französisch, aber ganz einfach zu bedienen, rechts oben in grün ist die wahl und dann runterscrollen bis corse und den daumen anclicken, fertig.
    "unser" baum, eine geschätzte 800-1000jährige kastanie aus dem "umani"-projekt in pianellu, liegt vorn mit nur einem konkurrenten daneben!
    da ist noch alles drin!
    falls dir, giacchetto, mein aufruf hier nicht recht ist, pardon. dann mach ich nochmal selbst was auf dafür.
    die kastanienliebende eva - am liebsten frisch aus dem kamin, mjammmmi :popcorn:


  • @Giacchetto:


    Hallo Thomas,
    Langsam wird es bedenklich bezüglich eingeführte Schädlinge ohne natürlichen Feinde. (Globalisierung und seine Folgen)
    In der Badischen Zeitung erscheint heute einen Artikel über den Asiatischen Laubholzbockkäfer, der als so gefährlich gilt, da er nicht nur geschwächte, sondern vor allem gesunde Laubbäume befällt.


    "Ein befallener Baum muss gefällt und sofort verbrannt werden. Für umstehende Bäume gilt das gleiche. Horrorszenario ist also eine flächendeckende Abholzung(....)Auch auf Korsika und in der Lombardei hat es bereits massenhafte Abholzungen gegeben." (BZ)


    Weisst du mehr darüber?


    Gruß
    Dieter, besorgt

  • Katarina:


    ich bin bestimmt der Letzte, der die Wirksamkeit von ätherischen Ölen bezweifeln würde, aber jetzt mal ganz ehrlich: wie bitteschön willst du die ca. 30000ha Kastanienwald auf der Insel mit Lavendelöl besprühen? Abgesehen davon, daß dazu -wie du selber schreibst- Unmengen an Öl verwendet werden müssten..... Und weisst du welcher Lavendel da helfen soll ? officinalis, stoechas oder angustifolia ? Jedes dieser Öle hat ganz unterschiedliche Wirkungen und Eigenschaften.
    Übrigens sind es weniger die fertigen Insekten, also die Gallwespen selber, als vielmehr die in den Gallen lebenden Larven die die Schäden verursachen.
    Und: in Italien scheint der Torymus dafür gesorgt zu haben, daß sich ein -fragiles- Gleichgewicht zwischen Cynips und ihm eingependelt hat.
    Sorry für diese Einwürfe, aber es wäre nett wenn du das in deinem Blog berichtigen würdest.


    Gruss von der Insel
    Thomas

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