Kommunalwahlen auf Korsika, ein Stimmungsbericht

  • Wie ihr vielleicht schon durch die Berichterstattung in den deutschen Medien mitbekommen habt, fand in Frankreich -und damit auch auf Korsika- am gestrigen Sonntag die erste Runde der Kommunal- und Bürgermeisterwahlen statt.


    Seit einigen Jahren schon sind wir in die Wählerliste für die Kommunalwahlen eingetragen. Wie es dazu kam ist an sich schon eine kleine Geschichte wert.....:
    Schon seit längerem hatten wir mit "Monsieur le Maire" darüber diskutiert, ob man die Zufahrt zu unserem Haus -eine relativ lange, löchrige unbefestigte Piste- nicht richten könnte. Von seiner Seite kam damals der Vorschlag, er würde dafür sorgen, daß diese Piste in absehbarer Zeit asphaltiert werden würde. Monate gingen ins Land und wir beschlossen noch einmal nachzufragen. Ja, das "dossier" wäre eingereicht, er würde noch auf die Finanzierungszusage warten. Ob wir eigentlich schon darüber nachgedacht hätten unser Wahlrecht hier auszuüben ? Unser Einwand, daß wir aus privaten Gründen offiziell noch unseren ersten Wohnsitz in D behalten müssten, wurde sofort entkräftet mit dem Hinweis , daß für "les municipales" EU-weit der zweite Wohnsitz ausreichend wäre. Da wir uns eigentlich aus den lokalen Wirren heraushalten wollten, erwiderte ich, darüber nachdenken zu wollen. Er wies uns freundlichst darauf hin, daß die Einschreibefrist in zwei Wochen enden würde und bemerkte -mit einem überdeutlichen Augenzwinkern- daß ja in ein paar Monaten Bürgermeisterwahlen wären und natürlich der Asphalt davon abhinge....womit dann klar war, daß auch wir uns den korsischen Verhältnissen nicht entziehen können und Jacky, "Monsieur le Maire", zwei Wahlberechtigte mehr in seiner Gemeinde hatte.


    Hier nun ein kleiner Stimmungsbericht von der Wahlurne in einem kleinen korsischen Bergdorf:
    Vorbei ist die Zeit, als noch die Toten wählen durften und die Wahlurnen abends im nächsten Bach versenkt wurden, aber dennoch ist ein solcher Wahltag etwas ganz besonderes.
    Seit 18 Jahren ist Jacky schon Bürgermeister bei uns, jetzt kandidiert er für seine nunmehr vierte Amtszeit. Im Vorfeld der Wahlen rief er mehrmals persönlich bei uns an, nicht etwa um sein Wahlprogramm zu präsentieren, sondern einfach nur um uns daran zu erinnern, daß am Sonntag ja Wahl wäre, und wir natürlich vollkommen frei wären zu wählen wen wir wollen...Wir betonten,daß wir selbstverständlich unsere staatsbürgerlichen Pflichten wahrnehmen würden und am Sonntag erscheinen würden.
    Um einen ähnlichen Spießrutenlauf wie vor sechs Jahren zu vermeiden ( damals wollten wir schlau sein und frühmorgens in aller Ruhe wählen, mussten aber feststellen, daß bereits das halbe Dorf auf den Beinen war) entschieden wir uns in der Mittagszeit zu wählen, in der Hoffnung, daß die meisten am heimischen Mittagstisch sitzen würden. Im bislang einzigen heftigen Schneegestöber dieses Winters betraten wir unsere Mairie -nur um uns inmitten eines geselligen Zusammensein bei Brot,Käse und Charcuterie wiederzufinden. Nach vielem "ca va?" hier und "bon appetit" dort und ausgiebigem Wortgeplänkel begleitete uns dann Jacky höchstpersönlich zu den -eine notdürftige Anonymität gewährenden- Wahlkabinen. Er drückte uns die beiden Stimmzettel in die Hand, wies nochmals darauf hin, daß wir frei wählen können, der linke Zettel würde seine Liste repräsentieren und der andere, ja.... die würden halt einfach mal so kandidieren. Und er wäre sich sicher, daß wir schon selber wüssten, was wir zu tun hätten... Ebenfalls höchstpersönlich nahm er unsere Wahlumschläge dann entgegen um sie in die Urne gleiten zu lassen und lud uns zur abendlichen "Siegesfeier" ein....
    Auf die abendliche Feier haben wir dann verzichtet, die trotz des anhaltenden Sturms zu hörenden Gewehrsalven haben uns gereicht.
    Falls jemanden das Ergebnis interessieren sollte: ständige Einwohner: ca. 200,Wahlberechtigte: 502, abgegebene Stimmen: 401 (80 % Wahlbeteiligung), Stimmen für Jacky: 393 ( 98%, da wird doch selbst Kim Jong Un in Nordkorea neidisch)


    Noch ein paar Anekdoten zur Wahl aus anderen Gemeinden:


    Campi ständige Einwohner: weniger als 10,Wahlberechtigte: 47, Gemeinderäte 7, drei konkurrierende Listen mit zusammen 21 Kandidaten
    San Gavinu ständige Einwohner: ca. 80,Wahlberechtigte: 292, zwei verfeindete Listen die das Dorf spalten, Handgreiflichkeiten im Vorfeld der Wahlen, Ergebnis 52%: 48% aber in den
    kleinen Gemeinden (<1000 EW) gilt : "the winner takes it all", d.h. alle Sitze für die siegreiche Liste. Es bleibt abzuwarten, ob im Dorf wieder Frieden einkehrt.
    Prunelli Wahlberechtigte: 2569, ein allein wegen der Tatsache einer oppositionellen Liste derart beleidigter Bürgermeister, der kulturellen und sportlichen Vereinen, deren
    Mitglieder für die Opposition kandidieren, umgehend Zuschüsse und Räumlichkeiten verweigert.
    Solenzara Wahlberechtigte: 1250 hier kandidierte als Herausforderer der vielleicht dem ein oder anderen hier namentlich bekannte Bergführer Jean Paul Quilici. Sein Anliegen: die von der Gemeinde Sari-[definition=6]Solenzara[/definition] sanktionierte Erschließung des [definition=6]Solenzara[/definition]-Tals und des Bavella-Massivs zu bremsen (und erreicht mit seiner Liste immerhin 26% der Stimmen)
    das Kopf-an-Kopf Rennen des jüngsten Mitglieds der Zuccarelli-Dynastie (die seit knapp 50 Jahren regiert) mit dem gemässigten Nationalisten Gilles Simeoni - bei knapp 22000 Wahlberechtigten trennen die beiden gerade mal 29 Stimmen. Der zweite Wahlgang findet nächsten Sonntag statt.


    Kein Thema war hier bislang das Abschneiden der FN, im Gegensatz zum Festland scheinen diese auf kommunaler Ebene hier -zum Glück- keine Rolle zu spielen.


    demokratische Grüsse aus den korsischen Bergen


    Thomas

  • Auch in unserem Dorf (Barbaggio, ca. 100 ständige Bewohner, 200 Wahlberechtigte) verlaufen die Wahlen ähnlich wie bei Dir Thomas, das letzte Mal kandidierten zwei verfeindete Cousins, einer ist der Bruder unseres direkten Nachbarn, mit dem anderen sind wir befreundet und wollten ihn eigentlich wählen. Da wir kurz vor dem Wahlsonntag abgereist sind, dachten wir: na dann gibt´s eben die Briefwahl. Aber nicht in Frankreich: hier kannst Du eine Vollmacht (Procuration) einem Vertrauten geben, der dann zwei Stimmen hat. Im Dorf weis man allerdings wer welche Liste wählt, mit der Auswahl des Wählers outet man sich quasi. Wir haben seinerzeit entschieden, nicht zu wählen. Diesmal waren wir ja zur Wahl da, aber aus irgendwelchen nicht nachvollziehbaren Gründen war Steffi (meine Frau) von der Wählerliste verschwunden. Nach einigen Telefonaten des Wahlvorstehers wurde uns geraten doch nach zu fahren, dort gebe es ein spezielles Tribunal, das noch am Wahlsonntag die Sache klären könne...


    Das haben wir dann doch gelassen und es gab nur mein Votum!


    Gunter

  • Hallo Gunter Patrimonio:


    "das letzte Mal kandidierten zwei verfeindete Cousins" ......wobei das Wort "cousin" nichts darüber aussagt wie eng das Verwandtschaftsverhältnis wirklich ist. Das einfache "cousin" bezeichnet alles bis hin zum Cousin mindestens achtundvierzigsten Grades (also sozusagen fast jeden... ::))) ). Der "echte" Cousin wird mit "cousin germain" bezeichnet. Diese korsische Eigenart hat bei uns lange Zeit für Verwirrungen und Irritationen gesorgt, bis man uns über diese Besonderheit aufgeklärt hat. Daß eine Kommunalwahl ganze Dörfer spaltet und daraus generationenüberdauernde Fehden ist für und schwer nachvollziehbar, obwohl es vergleichbare Geschichten bestimmt auch aus deutschen Landen zu berichten gäbe.
    Die Besonderheit des französischen Wahlsystem, die "procuration" erschien mir schon immer etwas fragwürdig. Ein Großteil der "Nicht-Dauerbewohner", besonders die Festlandkorsen,
    lässt gewohnheitsmässig durch "procuration" wählen anstatt zu den Wahlen extra anzureisen. Oftmals ist es der maire selber, der diese "procuration" ausübt und dafür die ein oder andere Gefälligkeit vergibt.


    Gruss
    Thomas

  • Noch ein kurzer Nachtrag zum zweiten Wahlgang in am kommenden Sonntag:


    laut einer Meldung im haben sich drei Listen zusammengeschlossen um gemeinsam gegen die Liste von Jean Zuccarelli anzutreten. Im einzelnen sind das die gemässigten Nationalisten unter Gilles Simeoni (32,3 % im ersten Wahlgang), die Liberalen unter Jean Louis Milani ( 9,7%) und die "abtrünnigen" Linken unter Francois Tatti ( 14,6%). Gemeinsames Ziel: die "Ablösung" eines Systems und ein Ende der "Dynastie" Zuccarelli.
    In Kommentaren wird darauf hingewiesen, daß die drei jetzt vereint agierenden Kandidaten so unterschiedliche Programme haben, daß es wohl weniger um eine gesamtpolitsche Arbeit für , als vielmehr um ein Postengeschachere gehen wird.....


    Gruss
    Thomas


  • Hallo Thomas Giacchetto::
    "das letzte Mal kandidierten zwei verfeindete Cousins" .....


    Das waren tatsächlich "Cousins germains", so habe ich auch die Bedeutung gelernt. Beide haben dieses Mal auch kandidiert, sie haben beide aber nur 30% der Stimmen erhalten.


    In Patrimonio haben die "Nationalisten" überraschend gewonnen, der frühere Bürgermeister hatte nach eigener Aussage vor der Wahl von 60% aller Wähler die Zusage zur Wahl erhalten, tatsächlich sind´s dann nur 40% geworden. Man munkelt, die neue Mannschaft will insbesondere Grundstücksverkäufe an Ausländer und insbesondere an Kontinentalfranzosen verhindern.


    Gunter

  • Hallo Gunter, Patrimonio:


    "Man munkelt, die neue Mannschaft will insbesondere Grundstücksverkäufe
    an Ausländer und insbesondere an Kontinentalfranzosen verhindern
    " ...... im Grunde ein durchaus verständliches Anliegen wenn damit die üblichen Auswüchse der Grundstücksspekulation verhindert werden, die inzwischen ja (wieder) vielerorts für berechtigten Unmut sorgen. Andererseits hat ja die commune Barbaggio (soweit ich weiß) nicht wirklich Zugang zum Meer und touristisch attraktiven "littoral"-Zonen.


    Mal abwarten wie die realpolitische Umsetzung dann aussieht...


    Gruss
    Thomas

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